»Das poetische Sprechen im Kino« (Melanie Weidemüller, StadtRevue Köln) |
Fangen wir rückwärts an. Der neueste Film von Harald Bergmann, 'Passion Hölderlin': Sechs Hölderlin-Addicts unterschiedlicher Disziplinen geben Auskunft, der siebte ist der Regisseur selbst. Die Literaturwissenschaftlerin gesteht, dass es der Philologie bislang nicht gelungen ist, die Komplexität der Dichtung Hölderlins zu fassen. Der Hirnforscher Linke sortiert die Plastikteile eines Gehirnmodells. Die enthemmten Erfahrungs- und Wahrnehmungsweisen im Mescalinrausch entsprächen am ehesten den Hölderlinschen Gedichtbewegungen, beschreibt der Philosoph Heinz Wismann durchaus nüchtern die Verführung dieser Poesie und die Kamera steigt in ein Segelflugzeug. Kein Standpunkt mehr dort oben, dafür ständige Landschafts- und Perspektivwechsel. Wohin? Das wisse der Teufel, es käme schon auf das Verschlepptwerden an...
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Was ist ... lebendige poetische Rede? Wie lässt sie sich filmisch adaptieren? Das gilt es auszuloten. Bergmann ist, um es vorweg zu nehmen, eine überzeugende Aneignung gelungen, die vielleicht einzig akzeptable Form, nämlich kein Film 'über' Hölderlin, sondern das poetische Sprechen im Kino. In zehn Jahren sind drei abendfüllende Filme unterschiedlicher Stilarten entstanden: Eine Annäherung und Auseinandersetzung mit Leben, Werk und dem bis in die Gegenwart reichenden Mythos - analytisch, identifikatorisch, kritisch, dokumentarisch, liebevoll, ästhetisch. Jeder Film steht für sich, doch mit der Trilogie erst wird das Gesamtunternehmen erkennbar, ergänzen sich drei Perpektiven und 'Töne' zu einem offenen Ganzen.
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Hölderlin in einer gültigen Form im Kino zu lesen, das ist vorher Huillet/Straub gelungen, zuletzt hat Nina Grosses Historienschinken 'Feuerreiter' die Skala nach unten durchgehauen. Harald Bergmann hat mit seiner Filmsprache dem Kino etwas hinzugefügt, und mit seiner 'Rettung' Hölderlins für uns Zeitgenossen die poetische Ausdrucksform neu belebt - jene also, die am ehesten die komplexe Erfahrungsweise gelebten Lebens zu fassen und zu vermitteln vermag. Das ist aktiver Widerstand gegen die Verdummung, die Versteinerung, das Vergessen. Im Kino, in Deutschland, wo auch immer.
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